Tag 2: Caracas - El Vigia - Merida
Um halb fünf am Morgen ist die erste Nacht in Venezuela auch
schon wieder vorbei. Bereits vor 6 (Abflug 7:00) müssen wir am Flughafen in Caracas sein und es sind bis dorthin fast eine Stunde Fahrt. Da die Reise weiter in Richtung der venezolanischen Anden gehen soll, wollen wir dabei mit
der inländischen Fluggesellschaft Laser fliegen. Schau’mer mal wie sich dieser Flug so entwickeln wird.
Rechtzeitig kommen wir am Flughafen an und auch das Einchecken
verläuft problemlos. Wenn man aber auf dem Vorfeld so manches Flugzeug betrachtet, wird man den Verdacht nicht los, ob denn dies hier eigentlich der Internationale Flughafen von Venezuela oder doch nur ein
Flugzeug-Freilichtmuseum ist, mit Flugzeugen in den unterschiedlichsten Ausbauzuständen. Es ist vor Ort z.B. ein ganzer Schwung an Boeing 737-200 dort abgestellt, erkennbar ist die erste Baureihe der “Baby-Boeing”
an ihren beiden zigarrenförmigen Triebwerken. Auch die Typenvielfalt an DC9 und/oder MD80 Flugzeugen ist beträchtlich. Und was gerade nicht-interkontinentalen Flugzeugtypen betrifft, sind Namen von Fluggesellschaften
vertreten, die mir so alle unbekannt sind.
Beim Einsteigen in unser Flugzeug kann ich nur erkennen, dass
es sich dabei um eine MD 80 oder eine ältere DC-9 handeln muss. Das Interieur macht zwar auch wie das Äußere einen farbenfrohen Eindruck, scheint aber auch schon bessere Tage erlebt zu haben. Mein Platz ist in der letzten Reihe
am hier nicht vorhandenen Fenster, da sich unmittelbar außerhalb eines der beiden Triebwerke befindet. In der Sitztasche vor meinen Füßen befindet sich auch kein Sicherheitsblatt, also lässt sich immer noch nicht bestimmen, mit
welchem Flugzeugtyp wir hier unterwegs sind.
Fast pünktlich rollen wir in Richtung Startbahn und mit
ohrenbetäubendem Lärm startet das Flugzeug. Kaum haben wir abgehoben, fliegen bereits Teile der Deckenbeleuchtung auf den Kabinengang und aus den Lüftungsdüsen strömt Wasserdampf, auch im Cockpit dampft es. Anscheinend ist dies
bei diesem Flieger ganz normal, denn die Flugzeugbesatzung ist die Ruhe selbst. Ich vermute der Wasserdampf ist der hohen Luftfeuchtigkeit bei offener Kabinentür am Boden geschuldet. Der restliche Flug entlang des
Küstengebirges um die Westseite der Anden herum verläuft relativ ereignislos, sodass wir pünktlich in der 70.000 Einwohnerstadt El Vigia an der Westseite der venezolanischen Anden landen. Beim Verlassen des Flugzeugs lässt sich
auch der Typ des Flugzeugs erkennen, es war eine altehrwürdige DC 9-30, gebaut irgendwann zwischen 1966 und 1980.
Morgens um 8 Uhr erwartet uns im 130m ü. NN gelegenen El Vigia
schon schwülwarmes Wetter mit Temperaturen um die 30°C. Im Ort selbst wollen wir uns nicht aufhalten, sondern gleich in nordöstlicher Richtung des inmitten der Anden gelegenen Städtchen Merida weiterfahren. Juan wird dabei
unser Busfahrer in den nächsten Tagen bis nach Ciudad Bolivar sein. Wir verlassen die Tiefebene rund um El Vigia und schrauben uns langsam aber stetig die Anden hoch. Als Erstes wollen wir heute zu einer Kaffeefinca in der Nähe
des Kolonialortes Jaji fahren. Die Fahrt führt uns dabei in ein wunderschön gelegenes Hochtal, auch wenn die Straßen immer enger werden.

Hochtal bei Jaji südlich von Merida
Auf dem hügelreichen Gelände der Finca wollen wir eine Wanderung durch die
Kaffee- und sonstigen Felder unternehmen. Schnell ist erkennbar, dass die Finca schon wesentlich bessere Zeiten gesehen hat. Das Haupthaus der Finca macht
zwar einen gut renovierten Eindruck, die Plantagen sind aber eher verwildert. Auch wenn man in unseren Breiten gerne von “Hochlandkaffee” als Markenkennzeichen spricht, üblicherweise wächst die auf dem Weltmarkt
vorherrschende Sorte “Arabica” nur in höher gelegenen Gebieten.

Kaffeefinca bei Jaji
Im Anschluß an die Wanderung machen wir noch einen Rundgang durch
Baulichkeiten der Finca, die hier eher einem Freilichtmuseum gleicht. Nachdem wir uns bei einem venezolanischen Kaffee gestärkt haben, fahren wir weiter in
den Ort Jaji, wo wir in einem Innenhofrestaurant unsere Mittagspause abhalten wollen. Nach dem Essen steht ein Rundgang durch den kolonialen Ortskern von
Jaji an. Der in den 1960er Jahren renovierte Ortskern gilt als einer der schönsten Kolonialensembles von ganz Venezuela.

Kirche im “Freilichtmuseum” Jaji
Unser heutiges Tagesziel ist die auf 1700m in einem herrlichen Hochtal gelegene
Großstadt Merida, eingerahmt von den bis über 5000m hohen Berge der Umgebung. Am späteren Nachmittag erreichen wir den Ort, jetzt müssen wir im Feierabendverkehr der unzählichen Einbahnstraßen nur noch unser Hotel bzw.
unsere Posada finden. Mit ein paar ungeplanten Umwegen funktioniert auch dieses Unterfangen.
Unser Abendessen genehmigen wir uns im Restaurant des Hotels. Wenn um 21
Uhr die Eingänge des Hotels von Innen mit Sperrgittern verbarrikadiert werden, dann erspart sich jegliche Diskussion um die Sicherheitslage im Ort.
Tag 3: Wanderung im Nationalpark Sierra Nevada
Eine der Hauptattraktionen von Merida wäre eigentlich der “Teleferico de Merida”
, mit fast 13km die wohl längste Seilbahn der Welt. Die Talstation liegt in Merida auf 1577m Höhe, die Bergstation aber auf dem Pico Espejo auf 4765m. Sie ist
aber seit 2008 wegen technischer Mängel und der Verlustquote an Gondeln außer Betrieb. An einer neuen Seilbahn wird gerade (Oktober 2012) gearbeitet.
Unser erstes Vorhaben des heutigen Tages soll ein Wanderung in Richtung der
Laguna Coromoto im Nationalpark Sierra Nevada sein.

Karte des Nationalparks Sierra Nevada
Diese Wanderung verläuft auf der ersten Tagesetappe für den Aufstieg zum
4942m hohen Pico Humboldt. Startpunkt der Wanderung ist an einer Fischzucht auf 2100m Höhe in der Nähe des Ortes Tabay unweit von Merida. Die Strecke führt uns durch einen Bergregenwald in seiner Vollendung, eingebettet in
Bromelien und Bambusgewächsen sowie Orchideen. Und da es ja kein “Bewölktwald” ist, wird selbstverständlich auch die Nässe kostenneutral dazu mitgeliefert.

Bergregenwald der Sierra Nevada
Erfahrungen dürfen wir heute auch mit den Eigenheiten venezolanischer
Trekkingwege machen. Ausschilderungen und Wegmarkierungen sind Fehlanzeige, man darf nur hoffen, dass man sich auf dem richtigen Wege befindet. Und dieser Weg verläuft auch in z.T. menschenhoher Vegetation
unmittelbar am z.T. 100m tiefen Abgrund entlang. Glücklicherweise versperrt dabei so manch ein Grünzeug den Blick in die Abgründe, denn eine Wegsicherung gibt es nicht.

Wanderweg zur Lagune, rechts ist der ungesicherte und fast schon unsichtbare Abgrund

Bergregenwald der Sierra Nevada
Die Lagune selbst würde sich auf gut 3000m befinden, aber die nassen
Wetterbedingungen sprechen nicht dafür, dass wir heute soweit kommen werden. Als Umkehrpunkt haben wir einen von unserem Reiseleiter geschilderten Aussichtspunkt vorgenommen, dieser sollte nach spätestens 2 Stunden zu
erreichen sein. Aber als ich nach fast 3 Stunden an einem Wasserfall ankomme und von einem Aussichtspunkt auf der Wegstrecke nichts zu sehen ist, beschließe ich zunächst auf den Rest der noch im Aufstieg verbliebenen
Wandergruppe zu warten, damit wir dann gemeinsam wieder den Rückweg nach unten in Angriff zu nehmen können.
Erst nach 17 Uhr sind wir wieder in Merida zurück, zu spät für einen
Stadtrundgang. Zum Abendessen geht es heute in ein Restaurant in einer ehemaligen Klosterabtei unweit unserer Unterkunft.
Tag 4: Merida - Andenpässe - Altamira de Caseres
Heute wollen wir Merida auf der Transandina in nördlicher Richtung verlassen, um
in Richtung des östlichen Tieflands zu gelangen. Vorher müssen wir aber noch über fast 4000m hohe Pässe fahren. Da noch etwas Zeit bis zur Abfahrt verbleibt,
beschließe ich, mich auf die Suche nach Postkarten zu machen. In Venezuela ist dies ein gar nicht so leichtes Unterfangen, denn fast nirgendwo gibt es Postkarten zu kaufen. Und wenn doch, dann sind es werbeneutrale bolivarische
Einheitskarten. Für heute werden wir auch einen kleineren Ersatzbus und Fahrer haben (vom MarcoPolo zum MB Sprinter), da unser Standardbus sich technische Probleme zugelegt hat und in Merida repariert werden muss.
Unseren ersten planmäßigen Stopp (ein unplanmäßiger war in einem Andendorf
wegen einer durch 2 entgegenkommenden LKWs blockierte Straße) legen wir im über 3000m hoch gelegenen Ort San Rafael ein. Bekannt ist der Ort für seine im
Jahre 1983 erbaute Steinkirche des Künstlers Juan Felix Sanchez. Die Kirche dient auch gleichzeitig als Fahrbahnteiler.

Steinkirche des Künstlers Juan Felix Sanchez im über 300m hoch gelegenen Ort San Rafael

Altar der Steinkirche
Nach dem Besichtigen der Kirche fahren wir weiter auf der Transandina, das
Observatorio Francisco Duarte lassen wir dabei links liegen.
Je weiter wir an Höhe gewinnen, desto karger wird die Vegetation, es beginnt die
Gegend desFfrajones, wunderschönen jetzt im Oktober gelb blühenden Schopfrosettenpflanzen, die entfernt an Algavenarten erinnern. An der Straßengabelung oberhalb des Ortes Aparteros biegen wir zunächst links in
Richtung des Adlerpasses ab, dem 4007m hohen Pico El Aguila, der damit auch der höchstgelegene Pass in Venezuela ist. Später werden wir dann hier rechts abbiegen, um anschließend in das Tiefland der Llanos zu gelangen.
Die Passhöhe selbst ist in Nebel gehüllt und es regnet, sodass wir den Aufenthalt
in die Raststätte neben der Passhöhe verlegen. Aufgrund der Höhe ist man zwar in Zeitlupe unterwegs, aber es hat den Anschein, dass sich die Höhenprobleme in der Gruppe in Grenzen halten.

Pause am 4007m hoch gelegenen Pico El Aguila (“Adlerpass”)
Als Erfrischungsgetränk genehmigen wir uns einen Andenpunch. Mir war bis jetzt
noch nicht bewusst, dass man Haferschleim so köstlich verpacken kann. Wobei es zu sagen gilt, dass Wasser diese Dinge nicht tut. Ein Andenpunch ist also
Haferschleim mit Kakao und Rum und aufgeschäumter Milch, er schaut fast nach Cappuccino aus.
Aber wir halten uns nicht zu lange am Pass auf, denn wir wollen heute noch eine
Wanderung unternehmen. Dazu müssen wir zur über 3800m hoch gelegenen Laguna Mucubaji fahren, der Rangerstation des Nationalparks Sierra Nevada. Von dort hatten wir eigentlich geplant zur Laguna Negra zu wandern, der Weg
dorthin soll aber überschwemmt sein, sodass uns die Ranger raten zur etwa 2 Stunden entfernten Laguna Victoria zu wandern und uns dann an der dort noch gut 1km entfernten Passstraße von unserem Kleinbus wieder aufnehmen zu
lassen.
Die Parkranger müssen ja wissen was sie sagen, also starten wir ohne Karte
(der Wegweiser am Start ist nur eine venezuelatypische abstrahierte Gröbstskizze) die gut zweistündige Wanderung, natürlich bei strömenden Regen und Nebel. Da nicht alle von den Unbillen der Höhe verschont bleiben, nimmt nur
ein Teil der Gruppe an der Wanderung teil.

Frajones Landschaft in 3800m Höhe auf der Wanderung zur Laguna Victoria

Blühende Frajones in 3800m Höhe auf der Wanderung zur Laguna Victoria
Wir verlieren auf dem gut erkennbaren Pfad immer mehr an Höhe (wir werden ja
wahrscheinlich nicht mehr den Weg zurückgehen müssen) und laut Aussage der Parkranger kann man den Weg nicht verfehlen. Verfehlen kann man ihn im
oberen Bereich wirklich nicht, nur auf ihn bleiben funktioniert nicht immer, da nicht wenige umgestürzte Bäume den Pfad versperren. Und unmittelbar neben dem
Pfad beginnt auch schon die Hochmoorlandschaft. Im Zusammenspiel mit dem Nebel wirkt dies schon etwas surreal. Verstärkt wird dieser Effekt durch die in der
Ferne deutlich zu hörenden Gewitterdonner, einem Umstand, dem wir jetzt noch keinen Einfluß beimessen.
Aber nach gut einer Stunde ist der Weg nicht mehr ersichtlich, wie geht es nun
weiter? Links liegt im Talboden eine Lagune und rechts auch. Und die Sicht nimmt immer mehr ab, oberhalb von uns sieht man kaum noch 100m weit. Und
wie sollen wir jetzt ohne Karte weitergehen. es ist halb vier und in 2 Stunden ist es dunkel. Zu allem Überfluß hat es auch den Anschein, das die im Tal die zumindest
partiell begehbaren Strecken auch oft noch knietief überschwemmt sind.
Anscheinend ist einigen von uns die Entwicklung unserer Situation noch nicht
bewusst, denn sie schwärmen im Tal in beiden Richtungen aus, ohne zu wissen, wo es eigentlich weitergeht. Der letzte bekannte Trampelpfad liegt irgendwo im
dichten Nebel 100 Höhenmeter über uns, aktuell sind wir irgendwo im pfadlosen Hang und wenn wir nicht zeitig den Rückweg antreten, dann müssen wir im Dunkeln den unbekannten Pfad suchen.
Da auch unser Guide bereits bei den Wegsuchenden im Talgrund ist, lasse ich
sicherheitshalber diejenigen von uns, die sich noch weiter oben befinden, an Ort und Stelle wie an einer Perlenschnur immer im 20m Abstand angereiht verharren,
damit wir wenigsten den alten Weg wieder finden, denn die Sicht ist kaum noch 50m nach oben. Da sich die tiefer gelegenen Spähtrupps nicht sicher über den
Weg sind, beschließen wir wieder den Rückweg anzutreten. Hoffentlich geht das gut. Das Problem wird weniger das Finden des Weges nach oben sein, die wenigsten von uns sind darauf eingestellt gut 500m Höhenmeter auf Höhe des
Großglockners wieder nach oben zu wandern. Und bis wir oben sein werden, wird es dunkel sein.
Den Pfad nach oben haben wir schnell wieder gefunden und so machen wir uns
auf den Weg nach oben. Kurz vor Sonnenuntergang kommen wir am Parkeingang an. Aber unser Fahrer warten viel weiter unten und seinen Handyempfang will er auch nicht ausnützen. Nach einer Stunde kommt er aber mit
unseren Nichtwanderern doch noch an, die Weiterfahrt zu unserem Übernachtungsort kann beginnen.

Landschaft in der Nähe der Parkverwaltung an der Laguna Mucubaji

Sonnenuntergang an der Laguna Mucubaji
Diese gestaltet sich aber etwas anders als erwartet. Gewitter und Berge ist doch
manchmal etwas anderes als Selbiges im Flachland. Im strömenden Regen fahren wir zunächst talwärts ohne dass wir in der Nacht sehen, dass wir uns immer mehr in eine Bergregenwaldgegend hinein bewegen und uns eigentlich
auf der landschaftlich reizvollsten Strecke Venezuelas befinden. Der starke Gewitterregen der letzten Stunden hat zu Überflutungen und Murenabgängen
geführt, sodass die Straße für mitteleuropäische Verhältnisse als blockiert gilt. Dieser Umstand ist für unseren Fahrer irrelevant, mit Schwung und gestähltem
Arschbackenmuskeln nimmt er mit seinem Sprinter jedes Hindernis, auch wenn so manch ein Auto bereits stecken geblieben ist und sich die Lage von so manchen Unterboden- und Peripherieteilen an unserem Bus bereits tendenziell
etwas verschoben haben.

Ein Traum von Spritpreis (48 Centimo, umgerechnet kaum 6 Cent je Liter!)
Diese Fahrweise bleibt nicht ohne Folgen, die Bremsen überhitzen und die
Bremsleistung geht gegen Null. Aber warum unser Fahrer dann im nächsten Ort bei einem Halt an einer Tankstelle trotz überhitzter Bremse dennoch die Handbremse einlegt, bleibt mir ein Rätsel. Die normale Bremse wird an der
Tankstelle mit dem Wasserschlauch gekühlt. Beleidigt davon frisst die Handbremse ihren Kummer darüber in sich hinein und blockiert nur noch, eine Weiterfahrt erscheint unmöglich. Nach einer halben Stunde Wartezeit funktioniert
die Weiterfahrt dennoch und wir erreichen unser Tagesziel im 2150m hoch gelegenen Ort Altamira de Caceres, wo in der gemeindeeigenen Pousada übernachten. Ein ereignisreicher Tag ist vorbei.

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