6.07 / Tag 22: Shaqring Camp - Concordia Camp

Hab ich gestern bei meiner “Geburtstagsfeier” etwas zu viel vom heißen schwarzen und grünen Tee gebechert, und dies im alkoholfreien Pakistan?

Es ist gegen 4 Uhr morgens als ich im Zelt aufwache, mit einem riesigen und intensiven Durstgefühl. Solch ein intensives Durstgefühl zur Nachtzeit ist mir eigentlich in allen Jahren bei Zeltübernachtungen noch nie vorgekommen, auch nicht im Hochgebirge. V.a. gerade dann, wenn man am Vortag abends noch ausreichend Flüssigkeit getrunken hat.

Auch nachdem ich den Rest der mit Wasser gefüllten Thermoskanne trinkend leere, das Durstgefühl ist immer noch unverändert da.

Irgendwie komisch? Und warum habe ich jetzt am rechten Bein so ein komisches Druckgefühl?

Geraden so, als wäre ich die ganze Nacht ungünstig auf dem rechten Bein aufgelegen?

Irgendetwas ist hier nicht mehr normal!

Zusätzlich zum intensiven Durst habe ich das Gefühl, als würde sich mein rechtes Bein ohne starke Schmerzen überhaupt nicht mehr anheben, geschweige denn nur etwas bewegen lassen.

Wenn jetzt der immer noch anhaltende Durst nicht wäre, dann würde ich meinen, ich habe mich während der Nacht etwas komisch auf das rechte Bein gelegt, daher der Schmerz. Aber mit Durst?

Wach im Schlafsack liegend, es sind kaum noch 30 Minuten bis zum geplanten Aufstehen, umschleicht mich das komische Gefühl, dass mein rechter Unterschenkel deutlich dicker als normal sein muss.

Beim anschließenden “Herauskrabbeln” aus dem Schlafsack ist es ein wahrer Kampf, das rechte Bein selbst überhaupt irgendwie aus dem Schlafsack herauszubekommen. Das Anwinkeln des rechten Knies funktioniert irgendwie auch nicht und der ganze Unterschenkel schmerzt dabei extrem.

Als ich mir im Schlafsack sitzend anschließend dann meinen rechten Unterschenkel im Lichterschein der Taschenlampe betrachte, der Schock:

Mein rechter Unterschenkel hat ja mehr Umfang als der rechte Oberschenkel! Am linken Unterschenkel kann ich die Wade mit beiden Daumen und Mittelfingern umgreifen, am rechten Unterschenkel fehlen da mindestens 20 Zentimeter! Dies alles übernacht in 5h! Ohne zuordenbare Vorwarnung! Und der echte Unterschenkel ist dazu noch intensiv rötlich angelaufen. Jede Bewegung des rechten Beines schmerzt jetzt fürchterlich. Ich kann nicht wirklich lokalisieren, wo denn der Schmerz genau seinen Ursprung hat.

Was ist denn hier los?

Ich tippe auf irgendeine Art von Wundinfektion, die an dieser Stelle aber eigentlich gar nicht sein dürfte. Im Hinterkopf schwirrt mir der Gedanke an die Aussage von einem Lehrer im Gymnasium beim Erste-Hilfe-Kurs damals in der 10.Klasse: »Angst muss Euch eine Wunde machen, die fast nicht geblutet hat, die nicht entzündet ausschaut und die weitere Wundumgebung irgendwie komisch ausschaut.«.

Irgendwie trifft dies jetzt alles zu.

Da ist doch gar keine offene Wunde in der Gegend. Der Grind einer kleinen Wunde in diesem Bereich war doch schon gestern sang- und klanglos abgefallen.

Besteht hier ein Zusammenhang mit den wässrigen Ödemen der letzten Tage an den Fingern?

Heute sind die gestern noch vorhandenen Grinde am rechten Unterschenkel nicht mehr da, einfach mir nichts dir nichts verschwunden, und an den vermutlich gleichen Stellen sind jetzt dunkle grünspanfarbene etwa 1cm große Ringe getreten, deren “Sinn” ich nicht verstehen, geschweige denn zuordnen kann.

Vor fast 30 Jahren beim 15-monatigen Pflicht-Cluburlaub mit Y-Reisen (Bundeswehr) hatte ich ein ähnliches akutes Problem, damals aber am linken Fuß in Knöchelnähe. Mir wurde damals von den BW-Ärzten nie genau mitgeteilt, um was es sich da genau handelte. Meine späteren Recherchen und die Reaktion der Menschen im Umfeld deuten aber absolut zweifelsfrei auf eine Gasbrandinfektion im Anfangsstadium hin. V.a. das damalig wie frisch gekocht aussehende graufarbene „Wundfleisch“ und das Wundumfeld blubbernd wie eine Blisterfolie.

Wenn ich jetzt mit dem Klingenrücken meines Taschenmessers über die betroffenen Stellen fahre und es beginnt dort am Bein zu knistern als wäre unter der Haut eine „Luftpolsterfolie“, dann wird es absolut brenzlig. Tschüss dann schönes Bein und binnen 12h wäre ich unmöglich in einem Krankenhaus. Aber nichts knistert, Gasbrand ist es schon mal nicht.

Vor Tagen sind wir an einem verendeten Maultier vorbeigekommen, hatte das Tier Milzbrand? Die Mittagsrast machten wir aber gletscheraufwärts davon und wir sind mit sauberen Abstand an dem Tier vorbeigewandert, Eine Ansteckung dürfte also nicht der Fall sein, hab aber keine Ahnung von Symptomen und Ansteckungszeiten.

Gegen Tetanus bin ich regelmäßig geimpft, dürfte es also auch nicht sein.

Das folgende Bild ist nichts für schwache Nerven und ist später entstanden, die Auswirkung ist aber aktuell schon zu 95% identisch.

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Das Bild ist nicht am heutigen Tag fotografiert, zeigt aber die Dimension der in der Geschichte jetzt noch nicht bekannten Entzündung. Die weiße Wundauflage dient nur als Reibschutz zum Hosenbein, zwischen Bein und Hosenbein ist später einfach kein Platz mehr für einen Verband.

Noch vor dem Frühstück verständige ich unseren Guide Hamid über meine Lage und es wird uns Allen sofort klar, dass heute der Weg zu Fuß zum geplanten Ali Camp für mich definitiv nicht möglich sein wird.

Als Folge beschließen wir statt der geplanten Route zum Vigne-Gletscher den Rückweg in Richtung des Concordia Camps anzutreten, denn dort gibt es ein Satellitentelefon und eventuell auch Maultiere für einen Personentransport. Fast 100km auf eigenen Beinen zurück nach Askole um anschließend weiter per Jeep nach Skardu erscheinen mir irgendwie nicht mehr möglich. Hier im Shaqring Camp sind wir im tiefsten JWD, in den beiden letzten Tagen waren bis auf zwei Träger keine Personen unterwegs.

90% Sauerstoffsättigung und einen Puls bei 65 auf über 5000m ü.NN, wenigstens stimmen diese Vitalparameter noch!

Nur wenn sich jetzt nur in den letzten Stunden eine solch massive Entzündung entwickelt hat, in welchem Tempo breitet sich diese jetzt noch weiter aus? Wann hat der rechte Unterschenkel einen Umfang von mehr als einen Meter?

Kann ich mit meinem rechten Bein überhaupt noch vernünftig auftreten oder aber überhaupt noch auftreten?

Eigentlich definitiv nein!

Aber es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss raus aus dem Zelt und mich auf die Beine stellen. Ich versuche es ohne mein rechtes Bein zu belasten und irgendwie klappt es auch.

Der Schmerz ist bei jetzt jedem noch so kleinen Schritt einfach nur unerträglich und nicht mit irgendeinem anderen Schmerz zu vergleichen.

Ich habe irgendwie das Gefühl, der Schmerz kommt aus der Mitte des Unterschenkels und breitet sich strahlenförmig nach außen aus, geht wieder nach innen, anschließend wieder nach außen, usw.. Und dies auch noch in einer kaum vorstellbaren Dimension. Alleine der kurze Weg aus den Zelt und dann die gut 10 Meter weiter bis zum Kochzelt sind schon extrem schmerzhaft und es dauert viele Minuten bis zum Zelt. Jeder Schritt dorthin fühlt sich fast an, wie wenn ein Wadenkrampf im Sekundentakt immer von einem erneuten Wespenstich gefolgt wird. Nebenbei versucht da mindestens ein Zahnarzt einige Zähne ohne Betäubung zu ziehen.

Nur wie setze ich mich jetzt im Esszelt auf den Boden? Bis jetzt war das ja im Schneidersitz. Aber jetzt? Nur mit Hilfe von Karim und Purman kann ich mich hinsetzen und muss das Bein dabei in fast gestrecktem Zustand abwinkeln. Zuvor war schon das Problem mit dem Schuhe ausziehen. Schnürsenkel öffnen ging ja noch, aber raus aus dem linken Schuh geht nur unter exorbitanten Schmerzen.

Aber, auch wenn es normal in meiner aktuellen Lage gar nicht möglich ist, “Selbst Gehen” für mich nach Concordia ist die einzige verbleibende Alternative. Ein Rücktransport per Träger auf dem Gletscher dorthin ist für die anderen Beteiligten wegen der nur dünnen Geröllauflage auf dem Eis viel zu gefährlich. Maultiere, die dies übernehmen könnten, gibt es hier auch keine.

Es sind immerhin gut 5-6km “Wanderstrecke” bis zum Concordia Camp und gut 300 Höhenmeter berab. Dass wird dann ewig dauern, bis ich dort ankommen werde. Jeder der mehr als 5000 notwendigen Schritte bis dorthin immer wieder neu mit einem Schmerz, der auch bei Männern jedes Mal die Tränen fließen lässt. Auch ein von Inna zur Verfügung gestellter Trekkingstock bringt keine Reduzierung des Schmerzes, ab einem bestimmten und schon sehr geringen Belastungsniveau ist einfach nur noch ein 100% bestialisches Aua!

Es reicht bereits aus, dass ich dass betroffene rechte Bein nur nach unten hängen lasse ohne dabei aufzutreten und der Schmerz wird wiederholt unerträglich. Bei leichter Belastung des Beines nimmt der Schmerz sogar etwas ab, um bei Steigerung der Belastung mit vollster Vehemenz zurückzukommen.

Als ich mir vor fast 20 Jahren einen Spiralbruch (“Korkenzieher”) am Schienbein in Tateinheit mit einem Spiralbruch am Außenknöchel zugezogen hatte und sich beim Gehversuch die Knochenenden “trafen”, da war dies im Vergleich zur aktuellen Lage fast noch ein “Kindergeburtstag”.

Hoffentlich funktioniert der Gang bis zum Concordia Camp.

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Shaqring Camp - K2 (8611m) rechts und links der Bildmitte unverwechselbar die weiße Pyramide des 6858m hohen Angel Sar (Angelus), (c) by Inna

Nach dem Frühstück verlassen wir bei schönstem Wetter noch vor 7 Uhr das Shaqring Camp.

HAP Purman soll heute auf der ganzen Strecke bis zum Concordiaplatz mein Aufpasser sein, der sich immer in 100m Umkreis von mir aufhält, für den Fall, dass bei mir “die Lichter ausgehen” sollten. Purman sucht auch immer einen großen Felsen für die immer notwendigen Zwischenstopps meinerseits aus, denn schon alleine vom Boden aufstehen, wäre die für mich nächste fast nicht lösbare Herausforderung. Allein beim Versuch des Aufstehen zuvor vom Boden im Gemeinschaftszelt waren zwei Helfer als Hilfe für mich notwendig, mit einem nicht belastbaren und dazu noch fast ausgestrecktem Bein im beengten Raum alleine mit einem Bein eine schier unlösbare Aufgabe. Mit einem nicht anwinkelbaren Bein findet sich auch keine Möglichkeit mit eigenem “Schwung” aufzustehen.

Alleine zuvor aus dem eigenen Zelt herauszukommen war wesentlich einfacher.

Ich sage zu Purman, dass er immer maximal 100m vor mir warten soll und solange er mein “Pumpen” vor Schmerz noch hört, dann bin ich noch unterwegs.

Nur wenn ich in das Gesicht von Purman schaue, schaudert es mich. Er schaut mich immer in einer Mischung aus Mitleid und blanker Hilflosigkeit an.

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Auf dem Weg vom Shaqring Camp zum Concordiaplatz - K2 (8611m) rechts und links der Angel Sar, (c) by Inna

Am wirklich armseligen Militärposten unweit des Shaqring Camps versorgen mich die Soldaten dort mit Fruchtsaft. Wieder ein Liter Flüssigkeit mehr im Magen und dem eigenen Durstgefühl interessiert dies nicht die Bohne.

Was geht da in meinem Körper vor? Oder liegt es am Fruchtsaft der Geschmacksrichtung Kerosin?

Bei der Desinfektion der Wunde mit Jod am Militärposten stellen wir fest, dass da an meinem rechten Unterschenkel keine offenen Wunden im augenscheinlich entzündeten Bereich vorhanden sind.

Jetzt kenne ich mich mit mir selbst langsam nicht mehr aus!

Schritt für Schritt, Schmerz für Schmerz, in wahrer Maikäfermanier (bei jedem Schritt pumpen - vor Schmerz) nähere ich mich mit Purman ganz langsam immer mehr dem Concordia Camp.

Aber es dauert ewig, gerade der Streckenabschnitt, welcher rechterhand den Godwin Austen Gletscher in sicherer Entfernung “quert”, will gar nicht mehr ein Ende nehmen.

Auch wenn heute ein Himmel weißblau vorherrscht, zum Fotografieren kann ich mich heute in der aktuellen Lage nicht aufraffen, trotz traumhafter Ausblicke auf den K2. Irgendwie geht mir dieser wunderschöne Berg heute im wahrsten Sinne des Wortes “rechts am Arsch vorbei”.

Stunden später, nur noch wenige hundert Meter vor dem Lager am Concordiaplatz, kommt uns einer unserer Träger mit einer vollen Kanne heißem Fruchtsaft entgegen, deren Inhalt wir natürlich nicht ausschlagen. So ist es fast schon 14 Uhr bis wir nach gut 7h “Beine vertreten” im Concordia Camp eintreffen.

Ich weiß bis heute nicht, wie ich dies wirklich alles geschafft habe.

War es die Alternativlosigkeit?

Unser Koch Karim hat extra noch das Mittagessen für Purman und mich warm gehalten. Ich nütze die Zeit nach dem Essen, wenigstens funktioniert der Appetit noch, zum Erholen. Im Küchen-/Esszelt auf einer der dort ausgebreiteten Matten liegend habe ich jetzt wenigstens eine leicht angewinkelte nach außen gebeugte Stellung meines rechten Beines gefunden, die fast nicht schmerzt. Aber das Schmerzgedächnis pulsiert noch fast unverändert für längere Zeit nach.

Koch Karim will auch einen Teilbereich der Entzündung an meinem Bein mit seiner bewährten “Eigenbausalbe” testen. Er stellt aber nach kaum mehr als wenigen Minuten “Testphase” fest, dass hier was Ernsteres vorliegt und sein Hausmittelchen überhaupt nicht helfen wird.

Da ich Guide Hamid die nächsten Stunden nicht sehe, vermute ich, dass er per Satfon des Begleitoffiziers vom Concordia Camp mit dem Agenturbesitzer Kamal Möglichkeiten der weiteren Vorgehensweise abzuklären versucht. In der Zwischenzeit fragt Inna beim nichtpakistanischen Reiseleiter einer anderen Gruppe im Lager wegen der richtigen Trinkgeldberechnung nach. Dabei erfährt sie, dass in dieser Gruppe auch ein Mediziner dabei sein soll. Dieser könne sich dann auch mal mein “Wehwehchen” anschauen.

Am späteren Nachmittag kommt dann auch jemand zum Küchenzelt, dessen Verhaltensmuster ich einem Mediziner zuordnen kann. Dieser schaut sich meinen Fuß an und tippt wie ich auf irgendeine Wund- bzw. auf eine Streuinfektion, da ja auch kleinere Entzündungen an drei Fingern sind. Was es genau ist, davon hat er auch keine Ahnung. Diese Entzündungen sind zwar immer noch alle mehr als 75cm vom Herzen weg, aber mit dieser großen Entzündung nähern sie sich dem Herzen immer hartnäckiger. Der Mediziner gibt mir aus seinem eigenen Vorrat ein Breitbandantibiotikum (Clindamycin 300mg), er hat aber nur Tabletten für 3 Tage Reichweite. Trotz meiner mehrmaligen intensiven und zielgerichteten Nachfrage sieht er die Notwendigkeit eines Helikopterflugs nicht, der Rücktransport per Maultier würde reichen. Zu Fuß würden die Schmerzen zu groß sein.

Ob er zu diesem Zeitpunkt dabei einen sitzenden oder liegenden Transport auf dem Maultier meint?

Da bereits der nächste Patient dringend auf ihn wartet, jemand vom Goro II Lager kommt in Concordia an, abgestützt von Trägern auf einem Maultier mehr liegend als sitzend, kann ich ihn nicht fragen, ob ich auch mein seit Nepal immer im Gepäck befindliche Antibiotikum (Ciprofloaxin 500mg oder Amoxicillin 1000mg) verwenden darf. Sein Antibiotikum reicht nur für 3 Tage und es sind mindestens 5 Tage bis Skardu! Und ich war vorher nicht so schlau, meinen “Erste-Hilfe-Fundus” rechtzeitig vorzubereiten, sprich hier im Küchenzelt zu haben. Es hätte ja eines der von mir mitgebrachten Antibiotika passen können.

Während des Abendessens im Küchenzelt teilt mir Guide Hamid mit, dass er “schwerlastfähige“ Maultiere mit Maultierführer aufgetrieben hat. Sonst übliche Maultiere tragen statt der 100kg von “schwerlastfähigen“ nur 60kg und diese 60kg wären bei mir doch etwas unterdimensioniert.

Guide Hamid erklärt mir, es wären dann in den nächsten Tagen abwechselnd 2 Maultiere für mich als Transportmittel und diese würden 600 US-Dollar bis zurück nach Askole kosten. Ich denke mir, die 600 US-Dollar für 2 Maultiere muss ich schlucken, in Anbetracht dessen, dass ich in der aktuellen Situation am deutlich kürzeren Hebel bin. Die Maultiere und der Treiber sind ja sonst ohne Beladung auf dem Rückweg nach Askole, der “freie Marktpreis” dürfte also ganz woanders liegen.

Die Kosten eines Hubschraubertransportes würden je nach Quelle zwischen 8000 und 25000 US-Dollar liegen, zahlbar nur per Vorkasse. Vorher fliegt niemand und dann auch nur ein Privatunternehmen des pakistanischen Militärs als Monopolist.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: der Hubschrauber würde nur fliegen, wenn das Geld für den Flug schon vor dem notwendigen Flug als Deposit hinterlegt worden ist, bei 500 USD “Verwahrungsgebühr”. Vorkasse würde also nicht ausreichen.

Ich fühle mich in der Zwickmühle, mit der medizinischen Info, dass ein Transport per Hubschrauber nicht angesagt ist, mein Bauchgefühl aber sagt, ein Heli wäre besser, es aber sein kann, dass ich hier auf 4700m ü.NN bis zu 48 Stunden auf einen Heli warten muss und dabei später eventuell auf Kosten von mehr als einem Netto-Jahreseinkommen vieler Leser dieser Zeilen hier sitzen bleiben kann.

Wer unterschreibt mir dann, dass in Concordia der Helitransport medizinisch notwendig war und sich später in Skardu und/oder Islamabad herausstellt, dass alles doch nicht so schlimm ist?

Ich kann jede Auslandskrankenversicherung verstehen, hier Auswege zu finden, Kosten nicht übernehmen zu müssen, die im “ungünstigen” Fall ein Tausendfaches eines üblichen Jahresbeitrags eins Versicherungsnehmers der Versicherung ausmachen können.

Der Appetit bei mir zum Abendessen ist fast normal. Fieber, Schüttelfrost, eine Mattigkeit oder irgendetwas in dieser Richtung habe ich auch nicht.

Was ist da in meinem rechten Unterschenkel eigentlich los?

7.07 / Tag 23: Concordia Camp - Urdukas

Auch am heutigen Morgen schaut mein Fuß identisch nichteinladend zum gestrigen Tag aus.

“Interessant” ist ein Effekt am rechten Bein beim Verlassen des Zeltes: Wenn ich versuche mich auf das rechte Bein zu stellen, dauert es zunächst 20 Sekunden bis das Gehirn es akzeptiert, dass man das rechte Bein auch für das Gleichgewicht nutzen könnte. Vorher baut sich auch keine Muskelspannung im rechten Bein auf.

Was ist denn hier los?

Dieser Sache könnte man ja noch etwas Lustiges abgewinnen, nur ich muss ganz dringend zum Pinkeln. Pinkeln unter diesen Nebenbedingungen funktioniert nicht wirklich ohne Kollateralschäden. Bleibt wenigstens der Gletscher etwas sauberer. Was sich die Zuschauer aus anderen Zelten denken, wenn da jemand wie Rumpelstilzchen hüpfend vor seinem Zelt das kleine Geschäft erledigt, ist mir in der aktuellen Situation absolut egal.

Pünktlich zum Aufbruch gletscherabwärts in Richtung Askole steht auch ein Maultier mit zugehörigem Treiber zur Verfügung und nach einigen Anpassungsarbeiten darf ich auch auf dem sattelähnlichen Sitz am Rücken des Maultieres Platz nehmen. Aktuell schaffe ich es aber nicht einmal alleine in den Sattel des Maultiers zu gelangen.

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Camp Concordia, in voller Konzentration eine Möglichkeit zu finden, auf das Maultier sich zu setzen, (c) by Inna

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Camp Concordia, mühevoller schmerzverzerrter Aufstieg auf das Maultier, (c) by Inna

Das größte Problem beim Aufstieg in den Sattel auf das Maultier ist die Unbeweglichkeit meines rechten Beines über ein begrenztes Niveau hinaus. Die Kraft wäre dazu wäre ja da, aber wenn ich das rechte Bein gestreckt anhebe, angewinkelt ist schmerzniveauspezifisch unmöglich, wird der Scherz endgültig unerträglich und mir bleibt einfach nur noch die Luft weg.

Zur Vereinfachung steige ich auf einen flachen Felsbrocken neben dem Maultier, sodass ich das rechte Bein nur noch begrenzt anheben und schwenken muss. Irgendwie funktioniert es unter tatkräftiger Mithilfe anderer Personen dann auch.

Ein zweites Maultier sehe ich weit und breit nicht. Also wird es auch in den nächsten Tagen kein zweites Maultier geben.

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Camp Concordia, der Aufstieg ist geschafft, (c) by Inna

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Camp Concordia, nur noch das linke Bein in den “Steigbügel” setzen, dann kann die Tour beginnen, (c) by Inna

Im Schneegestöber machen wir uns auf den Weg ins “Tal” nach Askole bzw. über Goro heute nach Urdukas.

Gestern Abend hatten wir noch geplant, bei gutem Wetter unsere Gruppe aufzuteilen: Ich, HAP Purman, ein Träger und der Maultierführer zurück nach Askole und Inna mit Guide Hamid, Koch Karim und den anderen Trägern weiter “nach Plan” ins Ali Camp und dann über den Gondogoro La Pass nach Hushe.

Als Folge des schlechten Wetters, ein Hubschrauber könnte heute hierher gar nicht fliegen, teilen wir uns nicht in zwei Gruppen auf, sondern machen uns gemeinsam auf den Weg in Richtung Askole.

Auf dem Maultier sitzend, mit beiden Beinen nach unten im Seilsteigbügel, geht es auf identischen Pfaden zur Anreise wieder zurück. Aber schon nach einigen Minuten merke ich, dass sich mein rechter Unterschenkel anfühlt, als würde er immer mehr mit Irgendetwas volllaufen. Ein Hochheben des Unterschenkels funktioniert sogar noch schmerzfrei, nur das notwendige Anwinkeln ist immer extrem schmerzhaft. Den Fuß im Steigbügel habend hat wenigstens noch den Vorteil, dass normale Schmerzniveau beim normalen Sitz auf dem Maultier etwas zu reduzieren.

Noch schmerzhafter sind dann aber die Augenblicke, wenn aufgrund von unvermeidbaren höheren Felsen auf der Wegstrecke das rechte Bein weit nach hinten weggedrückt wird. Ich könnte dabei schreien, dass man es immer problemlos auch noch im 150km entfernten Skardu hören könnte.

Der Transport auf dem Maultier sitzend ist aber meinerseits nicht mit einem Ausruhen verbunden. Bei jedem Schritt des Tieres ist die eigene Mitarbeit und ein ständiges Ausbalancieren angesagt. Es ist ja kein brettlebener Weg, sondern es geht im wahrsten Sinne des Wortes über Stock, Stein und Eis. Das Maultier soll sich ja auf meine Reaktion auf den Bewegungsablauf des Tieres verlassen können. Aber das Maultier und ich arrangieren uns, ohne größere Diskrepanzen meistern wir die Herausforderung.

Nicht nur einmal frage ich mich, ob ich denn den schrottigen Weg, den wir hier bergab gehen, auch vor Tagen auf Schusters Rappen bergauf gegangen bin.

Eigentlich kenne ich das Gefühl nur bei Busreisen, dass man aufgrund einer Müdigkeiten mit dem Oberkörper seitlich wegklappt, aber heute nach der Mittagsrast passiert mir mehrmals Gleiches.

Ist es einer krankheitsbedingten Schlappheit oder doch nur einer Unterbeschäftigung in der Situation geschuldet?

Ich muss mich einfach jetzt noch mehr konzentrieren, damit mir hier diese “Unpässlichkeiten” nicht noch öfter widerfahren.

Am späteren Nachmittag erreichen wir das Lager Urdukas. Hatte es zur heutigen Mittagsrast im Goro II Lager noch geregnet, so ist es bei bewölktem Himmel jetzt wenigstens trocken.

Bei der Inspektion des Beines am späteren Abend stelle ich eine Ausweitung der entzündeten Stelle bis zum Knie hin fest. Der Bereich der Entzündung fühlt sich an der Hautoberfläche sehr warm an, die benachbarte Kniescheibe bzw. das Knie selbst ist aber eiskalt.

Ist es überhaupt eine Wundinfektion und wenn ja, wann kommt dann der rote Strich einer Sepsis bzw. Blutvergiftung? (Anmerkung: Zum aktuellen Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass der “rote Strich” für eine Blutvergiftung steht. In Wirklichkeit ist es Zeichen einer Lymphbahnenentzündung, die final in einer Blutvergiftung münden kann.)

Würde eine Blutvergiftung bzw. Sepsis eintreten, dann wären meine Überlebenschancen mindestens vier Tage von einer ärztlichen Behandlung entfernt gleich Null.

Und ich stelle mir die Frage, welche Qualität von Behandlung gibt es in Skardu dann überhaupt? Kann ich erst “richtig” in Islamabad behandelt werden? Und wie komme ich dann da hin?

Ich habe kein Fieber, kein Unwohlsein und am Bein ist die Kacke jetzt restlos am Dampfen.

Mit einem sehr mulmigen Gefühl lege ich mich heute Schlafen, es ist jetzt schon fast Mitternacht und Früh geht es bereits um 4 Uhr wieder raus.

Was die Sauberkeit im Zelt betrifft: ein äußerst versifftes Hotelbett wäre jetzt deutlich keimfreier als eine verstaubte Isomatte im Zelt.

8.07 / Tag 24: Urdukas - Bardumal

“The same procedure as last day” heißt es heute wieder.

Der Zustand am Bein hat sich kaum verändert.

Die Entzündung hat sich eher noch weiter verstärkt, nur der Schmerz beim Auftreten des Beines geht langsam zurück, ist aber immer noch sehr deutlich vorhanden. Als Ausgleich dafür verstärkt sich aber das Gefühl, dass im rechten Unterschenkel sich irgendwie Flüssigkeiten aufstauen.

Auch die 20 Sekunden “Aufwärmphase” damit das rechte Bein vom Gehirn als Gleichgewichtsmöglichkeit wieder akzeptiert wird, haben sich jetzt um einiges verringert.

Bereits um 6 Uhr starten wir heute wieder.

Die ersten Meter dabei jetzt nicht auf den Maultier sitzend, da an für das Maultier gefährlichen Stellen niemand auf dem Tier sitzen sollte.

Der Abstieg vom Adlerhorst Urdukas ist nun einmal sehr steil und auch noch sehr rutschig. Für meine Nicht-Bergschuhe mit sehr flexibler Sohle kein leichtes Unterfangen, in meine Bergschuhe würde ich schon gar nicht mehr reinpassen.

Der nach rechts hängende Weg vom Camp nach Westen verstärkt die notwendigen Anstrengungen, gerade wenn das nicht einsatzfähige Bein auch noch das “Talbein” ist.

Auch schon gestern musste ich mehrmals vom Maultier absteigen und unter tatkräftiger Mithilfe v.a. von Purman dann auch auf eigenen Beinen diese Stellen meistern. Wenn man sich dabei nicht auf sein rechtes Bein verlassen kann, dann ist dies am Abhang entlang laufend oft eine sehr spaßige Angelegenheit. Ein wahres “No-Go” hier einen Fehler zu machen. Immer ist es notwendig, dass das “gute” linke Bein als Tal- und eigentliches Standbein herhalten muss. Dies hat zur Folge, dass ich manchmal am Hang entlang rückwärts gehen muss.

Im nächstgelegenen Camp Khorburtse legen wir nach zwei Stunden einen kleinen Zwischenstopp ein. Von einer nahegelegenen Maultierstation erhalten wir grünen Tee zum Trinken.

Für mich stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie wir den 30m breiten Abfluss des Liligo Gletscher queren können. Beim Weg damals in entgegengesetzter Richtung nach Concordia war es eine 30m breit manchmal gut knietiefe Gletscherflussquerung, aber in der aktuellen Situation kann ich in meinem Zustand unmöglich eine solche Wasserquerung auf eigenen Beinen durchführen. Würde ich mir dabei durch das mit Felsstaub durchsetzte Wasser mein rechtes Bein noch restlos versauen? Könnte ich mich mit nur einem funktionsfähigen Bein bei der zu erwartenden Strömung überhaupt zielgerichtet fortbewegen?

Kaum wieder gestartet biegt der Maultierführer mit dem Maultier und mir als Immobilie unmittelbar nach dem Camp Khorburtse nach rechts in die Sand- und Steinwüste des Baltoro Gletschers ab. Über verwinkelte Pfade überqueren wir dabei den Abfluss des Liligo Gletschers auf einer festen Gerölldecke, da das Wasser hier dann schon unterirdisch fließt. Zum Aufstieg auf die ursprüngliche Route muss ich aber vom Maultier absteigen und muss es dann auch noch irgendwie anstellen, im halblosen Sand-/Geröllgemisch die fast 50 Höhenmeter nach oben zum Pfad zu schaffen. Purman kann mir hier nicht helfen, da er hier selbst kaum Halt findet und sonst nur abrutschen würde.

Aber irgendwie klappt es doch, auch wenn ich mich auf mein rechtes Bein überhaupt nicht verlassen kann, nicht einmal als Standbein. Mit dem linken Bein rutsche ich meist 10-20cm wieder zurück, mit dem rechten Bein in der Bewegung nach vorne, meist noch über die Höhe des linken Beines hinaus.

Auf der weiteren Strecke gletscherabwärts treffen wir am Weg auf den Onkel von Purman, der sich wie wir in gleicher Richtung auf den Gletschers befindet. An manchen Stellen auf der Strecke (es ist ja kein Weg) geht es auch wieder über sandigen bzw. feinsteinig gemahlenen Untergrund, was wieder ein Absteigen von mir vom Maultier bedingt. Das Maultier findet da keinen Halt und würde einfach nur abstürzen mit mir als Beladung. Auch zu gefährlich für das Maultier ist es, wenn die Geröllplatten aufrecht stehen.

Während der Mittagsrast in einem Geröllfeld westlich des ehemaligen Liligo Camps beschließen wir, heute nicht nur bis nach Paiju zu gehen, sondern noch gut 2 Stunden weiter bis nach Bardumal.

Vom Camp Bardumal wäre es dann eventuell möglich, die verbleibenden 35km Reststrecke an einen Tag bis nach Askole zu schaffen und damit einen Tag Rückweg einzusparen.

Erstmals auf der Tour nutze ich die ausgedehnte Mittagspause bei schattenlosen Temperaturen deutlich über 30°C zu einem Nickerchen, um wenigstens etwas auf andere Gedanken zu kommen.

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Mittagssiesta auf fast 4000m ü.NN bei über 30°C auf dem Baltoro-Gletscher, die komische Anwinklung des rechten Beines ist noch die schmerzreduzierteste Variante, (c) by Inna

Noch vor Paiju verlassen wir den Baltoro Gletscher und die Wegstrecke ist jetzt meist im Tal des Braldu Flusses verlaufend, rechterhand ist das Camp Paiju am Hang gelegen.

Untertags ab etwa 15 Uhr hatte ich das Gefühl, dass wegen des langen Sitzens im Sattel(-ersatz) mein Arsch inzwischen so “ziemlich im Arsch ist”. Vormittags ist deswegen schon immer nach gut einer Stunde Maultierritt eine Erholungspause von 1-3 Minuten angesagt, jetzt meist schon nach kaum 30 Minuten. Ein Pause bedeutet raus aus dem Sattel und sich an einem Felsen mit Aufstehmöglichkeit hinsetzten und Wasser aus der Thermoskanne trinken. Ein ”Entspannungsspaziergang” fällt flach, da die Scherzen im Bein dazu zu stark wären.

Da sich in westlicher Richtung Regen und ein Sandsturm ankündigen, ziehe ich wieder die Regenhose und Regenjacke an. Es bleibt aber bei einem zeitweilig starken Wind und ein paar Regentropfen. Die Temperaturen sinken aber von geschätzten 35°C auf auf gut 25°C.

Reichlich spät gegen 19:30 Uhr erreichen wir das Camp Bardumal.

Da das Abendessen nicht vor 21 Uhr anstehen wird, Karim kann erst jetzt mit den Kochen beginnen, richte ich vorher wie auch schon am gestrigen Abend unter den erschwerten Randbedingungen mein “Zeltinnenleben” (Downmat, Schlafsack, ...) ein, das Zelt wird von der Begleitmannschaft aufgebaut. Alles andere als einfach, wenn man das rechte Bein nicht anwinkeln kann und eine fast 2m lange Daunenmatte irgendwie aufblasen und im Zelt unterbringen soll, ohne das zu viel Sand von außen ins Zeltinnere gelangt. Hilfe beim Einrichten der Wohnung im Zelt erhalte ich von Niemanden.

Nichtsahnend lege ich mich mit angezogener Hose in den Schlafsack, der nach diesem Ansinnen einen sehr verdreckten und verstunkenen Eindruck machen wird. Dies werde ich aber erst am späteren Abend bemerken.

Mit Appetit genehmige ich mir das Abendessen. Wieder zurück im Zelt, dann der Schock beim Ausziehen der Hose:

Warum hat da am Hosenbein im rechten Unterschenkelbereich alles so einen Gelbstich und stinkt so?

War da das Maultier undicht?

Die Stelle liegt ja am Bauch des Maultiers an, so nehme ich es zunächst irrtümlich an. Kaum ist die Hose ausgezogen, ist das Dilemma in seinem ganzen Ausmaß zu sehen. An vielen Stellen am rechten Unterschenkel sind jetzt gelbe und flüssigkeitsgefüllte Blasen (Ödeme?) und aus der Haut drückt es bei Druck auf die Hautoberfläche eine leicht zähflüssige Flüssigkeit heraus.

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Abends im Zelt: Jetzt auch noch gelbe Blasen und aus der Haut drückt es eine gelbliche Flüssigkeit heraus.

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Am rechten Bein (im Bild links) ist die eingetrocknete Lymphflüssigkeit deutlich zu sehen, ursprünglich hatte ich die “undichte Stelle” beim Maultier vermutet. Das Hosenbein liegt aber dort nicht am Maultier an

Eine reine Wundinfektion kann es nicht mehr sein!

Gas- und Wundbrand habe ich schon vorher ausgeschlossen, was ist es dann?

Macht das Antibiotikum irgendetwas oder wäre es ohne Antibiotikum noch viel schlimmer?

Ich erspare mir explizit nach einem roten Strich am Bein zu suchen. Wäre er da und somit auch in einer Folge eine Blutvergiftung, dann könnte ich es sowieso nicht mehr ändern.

Ich bin immer noch viel zu weit von irgendeiner medizinischen oder hoffentlich zielgerichteten medizinischen Hilfe entfernt!

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: in Wahrheit zeigt der rote Strich eine Entzündung der Lymphbahnen an, die sich zu einer Blutvergiftung entwickeln kann.

Jammern bringt jetzt nichts, ich muss die Entzündung “versorgen”.

Da ich nichts anderes habe, reinige ich die Haut am rechten Unterschenkel mit octenisept und benütze dabei sterile Wundauflagen als Reinigungstücher, die ich seit vielen Jahren unbenützt immer mitgeschleppt habe.

Ob es etwas hilft?

Es beruhigt wenigstens das eigene Gewissen etwas.

Diese absolute Unwissenheit über den eigenen schlechten Gesundheitszustand (der, soviel sei hier schon verraten, deutlich ernster ist, als von mir aktuell vermutet) macht mich inzwischen sehr nachdenklich.

Aufkommende Gedanken über den Umstand, ob man Skardu überhaupt noch lebend erreichen kann, bringt einem sehr schnell mit sich selbst ins Reine.

Wenn es jetzt schon so ist, dann ist es eben jetzt so!

Ich kann es nicht ändern!

9.07 / Tag 25: Bardumal - Korophon

Eigentlich wollen wir heute auch wieder um 6 Uhr starten, nur mein Maultier ist mit seiner Morgengymnastik noch nicht fertig. Dummerweise hat es sich dabei auch noch von seinem Befestigungsstrick gelöst und mein Maultiertreiber sucht jetzt das Tier.

Aber nach gut ein Stunde ist dieses Problem gelöst, wir können bei bestem Wetter uns in Richtung Askole aufmachen.

Reicht uns aber die Zeit heute für die 35km dorthin?

Wenn es im Laufe des Tages wieder wolkenlos wird, die aktuellen Wetterbedingungen lassen es erahnen, dann wird dies eine extrem heiße Angelegenheit werden.

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Lager Bardumal: Ein gestelltes Foto: HAP Purman, Träger Mehdi. Ich habe noch keine Handschuhe an. Handschuhe, auch bei 40°C Außentemperatur, aus Sicherheitsgründen, um keine Blase wegen der Reibung am Sattelstrick zu bekommen

Der Zustand meines rechten Unterschenkels ist unverändert sehr bescheiden.

Die gelben Blasen sind immer noch da, nur aus der Haut drückt es keine Flüssigkeit mehr heraus. An manch einer Stelle wirkt die Haut auch wie eingedrückt. Ich verspüre kein Fieber, keinen Schüttelfrost und wirklich unwohl oder matt fühle ich mich auch nicht. Das rechte Bein ist aber immer noch ein Totalausfall und mehr oder weniger unbeweglich.

Ich könnte mir inzwischen einbilden, dass das Laufen langsam etwas besser funktioniert, aber vielleicht ist es nur die Gewöhnung daran.

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Zwischen Bardumal und Jhola, jetzt mit “Arbeitshandschuhen”, (c) by Inna

Erst zur Mittagszeit erreichen wir das Camp Jhola, es ist aber jetzt schon unerträglich heiß. Mittagstemperaturen ohne Wolken und Wind in den 40-ern (Celsius nicht Fahrenheit) machen das Ansinnen, heute noch in Askole einzutreffen, unmöglich, ohne dabei die Gesundheit der Anderen zu riskieren.

Als Folge daraus beschließen wir eine längere Mittagspause hier in Jhola einzulegen und anschließend nur noch bis zum Camp Korophon zu gehen.

Ich sitze auf einem Klappstuhl hier im Lager und neben meinem Stuhl nimmt, wie sich herausstellt, ein pakistanischer Arzt Platz, der die ersten Etappen des Concordiatreks machen will. Auch wenn er nur ein Laborarzt für Diabetes ist, können wir über vieles reden. Er meint, mein desolater Unterschenkel könnte auch eine Folge einer Diabetes sein. Eine Diabetes kann ich bei mir aber aufgrund aller bisher in meinem Leben durchgeführten Blutuntersuchungen definitiv ausschließen. Meine Sorge bezüglich dem morgen anstehenden Antibiotikumswechsel kann er mir nicht nehmen, da er von den aktuellen Antibiotika keine Ahnung habe.

Die Stellen rund um die "Fersenblasen" könnten eigentlich jetzt problemlos ausheilen, wenn mir das Maultier beim Ritt nicht mindestens allstündlich einmal mit seinem vorderen Knie (ich denke mal, der letzte "Beinknick" nach hinten an den Vorderfüßen eines Maultiers ist das Knie) immer einen Volltreffer auf meine Fersen landen würde. Jedes Mal haut es mir dabei mein Bein im 90° Winkel nach vorne weg.

Gegen 18 Uhr treffen wir in Korophon ein.

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Camp Korophon - Blick nach Nordwest in Richtung des Biafo Gletschers, Uzun Brakk (6422m) im Hintergrund

Es sind wieder die Fragen der Vortage:

Keine Besserung zu Gestern?

Wann kommt die Blutvergiftung?

Es kann doch eigentlich gar keine Wundinfektion mehr sein?

Eine verschleppte Männergrippe kann es wohl auch nicht mehr sein?

Wache ich morgen Früh überhaupt noch auf?

Dafür werden es morgen hoffentlich nur noch maximal 3 Stunden bis Askole sein!

Nur was mich zusätzlich schon seit den letzten Tagen verstört:

Ich sitze den ganzen Tag auf dem Maultier, die linke Hand hält sich am angedeuteten Sattelbügel vorne fest und die rechte Hand hinten an der Schnur zum Pferdeschwanz. Nur habe ich trotz ungewohnter Haltung nicht die geringsten Verspannungen in den Armen, Schultern und Rückenbereich.

Blendet da mein Körper irgendetwas zu meinem eigenen Schutz einfach aus?

Ich hab den ganzen Tag bei bis zu 40°C Außentemperaturen die identischen Handschuhe (keinen Bock auf neue Blasen) an wie zuhause bei -10°C im Winter und ich habe nicht einmal Schweiß an den Händen und die Haut dort ist auch nicht runzlig.

Warum?

10.07 / Tag 26: Korophon - Askole

Am rechten Unterschenkel sind auch heute Morgen kaum Veränderungen positiver Art zu erkennen. Nur der schmerzreduzierte Bereich beim Bewegen des rechten Beines vergrößert sich von Tag zu Tag.

Um was für eine Entzündung es sich eigentlich handelt, ist mir und allen anderen immer noch schleierhaft.

Sehr frühzeitig machen wir uns auf den Weg nach Askole. Vielleicht sind ja noch Jeeps da und es kann ohne bzw. nur mit einer pakistanischen Unterbrechung gleich weiter nach Skardu gehen?

Noch vor 10 Uhr treffen wir in Askole ein, alle rückfahrenden Jeeps sind aber schon weg, d.h.: Warten bis zum nächsten Tag.

Was den Wechsel des Antibiotikums betrifft, so habe ich für mich selbst beschlossen, von jetzt an vom aufgebrauchten Clindamycin 300mg in 1-1-1 auf Ciprofloxacin 500mg in 1-0-1 umzusteigen, in der Hoffnung, es wird schon funktionieren.

Es wird auch funktionieren und durch unwissenden Zufall ist 1-0-1 auch noch die richtige Dosierung.

Nur an der Entzündung selbst ändert die ganze Sache nichts.

Wenn dann auf dem mitgenommenen Beipackzettel des Antibiotikums steht, "Ihr Arzt wird Ihnen genau erklären, in welcher Dosis und Häufigkeit und für welchen Zeitraum Sie das Arzneimittel einnehmen müssen.", dann sind das beim Lesen dieser “Ratschläge” unter diesen Bedingungen Momente im Leben, da möchte man sich am liebsten selbst in den eigenen Arsch beißen.

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Die Entzündung am Tag 5, die Wundauflage dient nur als Reibschutz gegenüber dem Maultier. Zwischen Bein und Hosenbein war einfach kein Platz mehr für einen Verband.

Da die Jeeps aus Skardu üblicherweise bereits am zeitigen Nachmittag eintreffen und keine Gruppen außer meiner Person zur Rückreise anstehen, ist die Organisation eines Jeeps für den Folgetag kein Problem.

Für den heutigen Tag ist es nicht mehr möglich mit den Jeeps zurück nach Skardu zu fahren, da wegen der erhöhten nachmittäglichen Wasserstände in den per Jeep zu querenden Flußfurten die Rückstrecke nach Skardu nicht mehr für Jeeps passierbar ist.

Eine positive Wirkung des neuen Antibiotikums kann ich am heutigen Abend erleben: Wahrscheinlich wegen der ganzen Zeit auf dem Maultiersattel war es in den letzten 5 Tagen nichts mit dem großen Geschäft, außer Wind mit und ohne Duftnote war da nix. Kaum zwei Stunden nach der ersten “neuen” Tablette ist dann der deutliche Wunsch meines Verdauungssystems zu vernehmen, dass da was raus will.

Das große Geschäft ist auch schnell auf dem Stehklo in Askole erledigt (eher nicht zweibeinig sondern in einer Kombination aus einarmig und einbeinig). Beim Betrachten des Geschäfts denke ich mir nur: Für Facebook und Co wird ja viel Scheiß fotografiert. Soviel eigene originale Scheiße, wie da jetzt hier von mir rumliegt, werde ich wahrscheinlich in den nächsten 100 Jahren nicht mehr in einem Zug fabrizieren. Das Fotografieren des “Riesenhaufens” erspare ich mir aber.

Hoffentlich funktioniert dann wenigstens morgen die Rückreise nach Skardu und der Gang zu einem Arzt (der hoffentlich Ahnung von der Sache hat).

Heute bin ich schon einmal die 600 US-Dollar für den Transport per Maultier losgeworden, zu zahlen an meinem Guide und nicht an den Maultiertreiber.

Die 600 US-Dollar waren doch eigentlich für zwei Maultiere gedacht?

Ich hatte doch nur ein Maultier?

Schon irgendwie komisch?

11.07 / Tag 27: Askole - Skardu

Jetzt heißt es Abschied nehmen von der Mannschaft der letzten Wochen und auch von meiner Reisebegleiterin Inna. Für Inna & Co. steht jetzt der zweite Teil der Reise zum Snowlake an. Für mich geht es zurück nach Skardu und dort hoffentlich zu einer qualitativen medizinischen Versorgung. Wenn nicht, dann wird es richtig spannend.

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Vor der Abfahrt in Askole nach Skardu: Ich und Guide Hamid

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Vor der Abfahrt in Askole nach Skardu: Ich und Koch Karim

Nach einigen Erinnerungsfotos geht es kurz nach 8 Uhr mit einem Toyota Landcruiser auf die Fahrt. Ich und der Fahrer im Fahrzeug vorne sitzend und 5 Pakistanis, davon einer von unseren Trägern, auf der Rückbank.

Da heute bestes Wetter vorherrscht, sind auf der Rückfahrt kaum neue Überraschungen zu erwarten. Gerade auf der Strecke bis nach Dassu ist es ein stetiges Auf und Ab, immer nah am oder über dem Braldufluß.

Solange der Jeepfahrer noch keine Schweißperlen auf der Stirn hat, mache ich mir keine Gedanken über die Gefährlichkeit der Strecke. An einem Restaurant auf der Strecke legen wir eine Teepause ein.

Am Armee-Checkpoint bei Dassu brauche ich dieses Mal nicht aus dem Jeep aussteigen, der Soldat kommt direkt an das Fahrzeug und kontrolliert dort meinen Pass. Was mir jetzt erst bei der Rückfahrt und nicht aber schon bei der Hinfahrt vor gut zwei Wochen auffällt: im gerade durchgefahrenen Shigar-Tal haben riesige Geröll- und Schlammlawinen den eigentlichen Straßenverlauf zerstört und die Strecke führt teilweise nur noch über Behelfspisten.

Am Kontrollpunkt an der Brücke über den Indus kommt es zu einer interessanten Begebenheit:

Die Buschtrommeln müssen hier im Karakorum sehr gut vernetzt sein.

Der Uniformierte reicht mir ein Buch zum Austragen meines Namens aus der Liste der Personen, die die Gegend wieder verlassen haben. Das Buch ist genau auf derjenigen Seite aufgeschlagen, wo mein Name vor gut drei Wochen eingetragen worden ist. Zusätzlich markiert er mit einem seiner Finger genau die Zeile von damals.

Woher weiß er, dass ich gleich ich bin?

Auch wenn es von Askole bis nach Skardu kaum mehr als 100km sind, es zieht sich, bis wir in Skardu am frühen Nachmittag im schon von der Anreise bekannten Hotel eintreffen.

Dort ist auch schon meine “Unpässlichkeit” bekannt.

Der Juniorchef des Hotels schlägt mir vor, dass der “Doktor” sich die ganze Sache anschauen solle, der wisse dann, welcher Arzt der Richtige wäre. Am besten wären die Ärzte im Militärkrankenhaus, aber die behandeln keine Ausländer, so sagt er.

Mir ist der “Doktor” schon von ein bis zwei Gesprächen an den Wartetagen vor dem Tourstart in Skardu bekannt

Der “Doktor” ist eigentlich ein im Hotel für mehrere Monate wohnender pakistanischen UN-Mitarbeiter, der ursprünglich Medizin studiert hatte und für einige Jahre in Pakistan als Arzt gearbeitet hatte. Es dauert keine drei Minuten und er ist an der Rezeption.

Nachdem ich ihn mein Problem geschildert und das Bein gezeigt habe, ruft er umgehend bei seinem Doktorvater im Militärkrankenhaus von Skardu an. Keine 5 Minuten später erfolgt der Rückruf, ich solle sofort ins Militärkrankenhaus kommen, auch wenn dieses für Ausländer absolut tabu sei.

Zusammen mit dem “Doktor” als Türöffner und einem Fahrer machen wir uns auf den Weg. Das Militärkrankenhaus, genau genommen das “Combined Military Hospital Skardu” befindet sich am anderen Ende von Skardu, es dauert mehr als 30min dorthin und nochmals 15min, bis wir bzw. ich auch das Eingangstor passieren dürfen. Das Krankenhaus macht auf mich den Eindruck, erst vor kurzem erbaut worden zu sein und dabei wurde anscheinend nicht auf die letzte pakistanische Rupie geachtet.

Ohne Verzögerung erfolgt durch den Chefchirurgen in einem der vier(!) Operationssäle eine Untersuchung meines rechten Beines und die Diagnose ist schnell klar:

Es handelt sich um eine im englischen schwere Cellulitis genannte Entzündung. Cellulitis (eng.) oder Zellulitis (deut.) haben nix mit Orangenhaut zu tun, das ist Cellulite, und wird bei uns meist Phlegmone genannt. Der englische Begriff “Cellulitis” bezeichnet auch oft die “harmlosere” Variante der Phlegmone, das Erysipel bzw. die Wundrose oder Rotlauf.

Auch bei uns werden beide Krankheiten gerne vermischt, ein schweres Erysipel ist dann eine begrenzte Phlegmone und eine leichte Phlegmone dann ein Erysipel. Die Phlegmone ist eine bakteriologische, eitrige, sich diffus ausbreitende Infektionserkrankung der Weichteile und wird oft mit einer “normalen” Wundinfektion verwechselt, auch von geschulten medizinischen Personal in Deutschland.

Zusätzlich zur Phlegmone sagt der Militärarzt liege bei mir auch noch eine massive Lymphadenopathie (durch die Entzündung bedingte Vergrößerung des Lymphknotens auf eine Dimension von gut 4,3cm x 1,3cm - gemäß Arztbericht) in der rechten Leiste vor, sowie Lymphödeme im Unterschenkelbereich.

Als mir der Chirurg später erklärt, dass die “Hautschichtenentzündung” Phlegmone unbehandelt weiter von der Unterhaut durch die Muskeln wandern und die Muskeln bzw. Weichteile dann zerstören kann und die Phlegmone unbehandelt spätestens in 3 Tagen zur Sepsis (Blutvergiftung) führt, wird mir ganz anderes.

Ich war gut 5 Tage mehr oder weniger unbehandelt unterwegs!

Er erzählt, falls die Phlegmone über das Knie wandert, normal ist dies nach etwa drei Tagen der Fall, und Bereiche im Unterschenkel durch die Phlegmone zu lange unterversorgt sind oder v.a. durch die Entzündung zerstört werden, dann kann auch eine Amputation des Unterschenkels notwendig werden. Zum Glück sitze ich beim Erhalt dieser Information bereits. Er wisse zwar nicht aus welchem Grund, aber bei mir schaue es mit dem Unterschenkel den Umständen entsprechend sehr gut aus.

Dem Arzt ist absolut unklar, wie es bei mir möglich war, dass sich der Zustand meines Beines binnen fünf Tagen nur unwesentlich verschlechtert hat. Sicherheitshalber wollen sie dazu aber noch eine Ultraschall Dopplersonographie des rechten Beines durchführen.

Die Ärzte, inzwischen stehen vier Ärzte um mich herum, wollen mich gleich für eine Woche im Krankenhaus behalten. Wir einigen uns aber darauf, dass ich täglich ins Krankenhaus zur Behandlung komme und ansonsten im Hotel wohnen werde und der “Doktor” sich um meine Behandlung kümmert.

Zuvor müsse ich aber noch die erste Infusion mit Antibiotikum unbeschadet überstehen, ansonsten geben sie kein OK dazu. Sie erklären mir, dass das Verwendung findende Antibiotikum eine zigfache Wirkung zu meinem bereits verwendeten Antibiotikum hat und sie sofort “scharf schießen” wollen. Es würde sonst u.U. bis zu 24h dauern, bis der oder die genau agierenden Bakterienstämme bestimmt werden können.

Eine Phlegmone kann sowohl durch Streptokokken als auch durch Staphylokokken und auch beide kombiniert, sowohl in aerober als auch in anaerober Wirkungsweise, hervorgerufen werden.

    Anmerkung des Verfassers: Vom schnellen Einlenken der Ärzte für eine “ambulante” anstelle einer stationären Behandlung bin ich doch etwas überrascht. Wie sich heute noch später herausstellen wird, haben wir uns irrtümlich auf diese Variante geeinigt. Ich, in der irrtümlichen Annahme, dass ich im Krankenhaus abgeschirmt vom Rest der Welt einfach vergessen werde, und die Ärzte in der irrtümlichen Annahme, dass ich unter keinen Umständen in ein pakistanisches Krankenhaus möchte.

    Zitat vom “Doktor” später im Hotel: »Warum verzichtest Du freiwillig auf das beste Hotel in Skardu? Die haben im Militärkrankenhaus auch bestes WiFi!«. Darauf ich: »Es war die Angst im Krankenhaus vergessen zu werden. Ich hab ja nur gesagt, dass mir das Hotel lieber wäre und die Ärzte haben dann ja ganz schnell klein beigegeben! Ok habe ich mir dann für mich gedacht, es funktioniert also so auch.«.

Sichtlich überrascht sind die Ärzte, als ich ihnen mitteile, dass ich vier Tage per Maultier hierher unterwegs war. Einer der Ärzte fragt: »Waren Sie da auf einen Sitz liegend zwischen zwei Maultieren befestigt?«

Darauf ich: »Das wäre am Gletscher etwas kompliziert gewesen, der Weg ist manchmal nur 30cm breit, da wäre oft ein Maultier immer in der Luft gehangen. Es war nur ein Maultier und ich war ganz normal in einem provisorischen Sattel mit den Beinen im Steigbügel gesessen.«

Darauf der Arzt fragt: »Dann war ihr rechter Fuß den ganzen Tag nach unten gehangen und nie hoch gelagert?«

Darauf ich: »Ja! Funktioniert doch«

Ungläubig den Kopf schüttelnd schaut er zunächst seine Kollegen an und sagt anschließend zu mir: »Was müssen sie für ein gutes Immunsystem haben? Ich kann Ihnen nur dazu gratulieren, dass sie ab jetzt zweimal Ihren Geburtstag feiern können!«

Darauf ich: »Genau nach meiner Geburtstagsfeier am letzten Mittwoch hat die Sache angefangen!«

Als wahrscheinlichen Auslöser der Phlegmone vermuten die Ärzte hier die Entzündung des Nagelbetts an der rechten Großzeh, die sich zusammen oder im Anschluss an die schon überstanden geglaubten eitrigen Zehnagelentzündung dort entwickelt hat. Eine explizite Behandlung dieses Zehs führen sie nicht durch.

Die Entzündung kann dann direkt von der Großzehregion unter der Haut weitergewandert sein. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Infektion bzw. die daraus resultierende Entzündung über die kleine Verletzung am abgegangenen Grind eingedrungen ist. Durch das Fehlen der “reinigenden” Wundblutung konnten dann Bakterien über die Wundsperre eindringen. Es kann schon ausgereicht haben, mit den Fingern die Wunde am Grind inspiziert zu haben und vorher den lädierten großen Zeh mit den Fingern kontrolliert zu haben.

Die übel riechende Flüssigkeit, die ich vor ein paar Tagen noch am rechten Bein verloren habe, dürfte nicht nur eine “verlorene” Lymphflüssigkeit gewesen sein, sondern diese Flüssigkeit war noch mit dem übel riechenden Eiter diverser Wunden gemischt.

Da wahrscheinlich wegen des fehlenden Verbandes genügend Luft an die Wunde gelangen konnte, blieben die Eiterherde an der Oberfläche und trockneten dadurch ein. Der Eiter ist wieder ein Zeichen für eine Phlegmone und glücklicherweise ist er nicht in das Muskelinnere gewandert.

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Kaum zu glauben. Die Entzündung rund um den vor drei Wochen angestoßenen Zeh, die hier unterhalb des Zehnagels zu erkennen ist, dürfte die Ursache für die Phlegmone sein. Durch die Phlegmone ist hier auch der ganze Vorfußbereich bereits stark angeschwollen.

Von sich aus erklärt mir der Militärarzt im Range eines Majors, dass die medizinische Behandlung im Militärkrankenhaus mich nichts kosten wird. Sein Zitat: »Sie sind als Foreigner unser Gast, Sie brauchen sich nicht um die Bezahlung kümmern!«.

In einem anderen Behandlungsraum gibt es die Infusion mit dem Antibiotikum, zusätzlich erfolgen noch einige Bluttests. Da keine Unverträglichkeit bezüglich des Antibiotikums festgestellt wird, werde ich im Anschluß daran in die Obhut des “Doktors” übergeben.

Nach 19 Uhr fahren wir zurück ins Hotel. Unmissverständlich macht mir der “Doktor” klar, dass das rechte Bein immer hoch liegen sollte und gerade in den nächsten Stunden keine intensiven Schmerzen an der rechten Fußsohle auftreten sollten. Wenn ja, dann ist massive Gefahr im Verzug, denn da wäre auch noch eine Amputation des rechten Unterschenkels nicht mehr ausgeschlossen. Zunächst denke ich noch, er will mir nur Angst machen, aber nachdem ich die Hintergründe dazu erfahre, wird mir einiges klarer.

12. - 17.07 / Tag 28 - 33: Skardu

So geht es nun in den nächsten Tagen immer einmal täglich zur Infusion ins Krankenhaus. Jeden Tag wird vom Hotel oder vom “Doktor” ein “Krankentransport” per Privat-PKW und Fahrer organisiert. Die Gastfreundschaft der Menschen hier verbietet es, dass ich sie dafür bezahle, sie wehren sich fast mit Händen und Füßen dagegen.

Zwischendurch heißt es Bettruhe, den Fuß hochlegen und geringem Umfang auf dem Hotelgelände sich etwas die Füße zu vertreten.

Am nächsten Tag führen die Ärzte im Militärkrankenhaus auch noch eine Doppler -Ultraschall-Untersuchung (“Dopplersonographie”) durch, um eine TVT (tiefe Venenthrombose) ausschließen zu können. Wir beschließen, dass die Ärzte mich "versandfertig für Deutschland" machen sollen, sobald es die gesundheitlichen Umstände es erlauben, damit ich schnell nach Deutschland zurück kann.

Schon nach der zweiten Infusion mit Antibiotikum (Moxiget 400mg) reduziert sich die Schwellung am rechten Unterschenkel deutlich, nur die Farbgebung am Bein wird noch extravaganter.

Da am Freitag und Samstag das Militärkrankenhaus nicht für die Verabreichung von Infusionen geöffnet ist, erfolgen diese in einer Privatklinik in Skardu. Diese Klinik ist zwar nicht so neu wie das Militärkrankenhaus, die Arbeiten werden aber genauso hygienisch und professionell durchgeführt. So werden z.B. Spritzen und Kanülen immer erst unmittelbar vor dem Patienten aus den sterilen Originalverpackungen genommen, was ja in Deutschland nicht immer unbedingt der Fall ist.

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Das ganze Übel nach 2 Infusionen mit Antibiotikum die dunklen Flecken sind entzündungsbedingte Verhärtungen der Unterhaut (Subcutis)

Da mir die Ärzte eine 20-stündige Taxi-/Busfahrt nach Islamabad verboten haben, bin ich auf einen Flug von Skardu nach Islamabad angewiesen. Ein schwieriges Unterfangen, da für die nächsten Tage alle Flüge ausgebucht sind und zusätzlich aktuell wegen Schlammlawinen auch noch der Karakorum-Highway gesperrt ist.

Agenturinhaber Kamal versucht tagtäglich, die Reise für mich nach Islamabad zu organisieren, zunächst noch ohne Erfolg.

17.07 / Tag 33: Skardu - Islamabad

Erst nach einigen Tagen ergattert Kamal für mich einen freien Platz für den Flug nach Islamabad. Schon in den Tagen zuvor habe ich mir nach möglichen Rückflügen nach Deutschland umgeschaut. Sofort nach Erhalt der Nachricht buche ich den Rückflug nach Deutschland mit Turkish Airlines, diesmal in der Businessklasse und als vollflexibles Ticket, da die Flüge von Skardu aus sehr oft ausfallen und ein erneutes Umbuchen nicht ausgeschlossen ist. Vielleicht beteiligt sich ja die Auslandskrankenversicherung an den zusätzlichen Flugkosten.

Mit einem Airbus A320 der PIA dauert der Flug keine 45 Minuten. In Islamabad angekommen geht es zum zur Anreise identischen Gästehaus.

Es fällt auf, dass es in den letzten Wochen rund um Islamabad einiges an Regen gegeben haben muss, denn überall grünt es.

18.07 / Tag 34: Islamabad - Deutschland

Bereits vor 2 Uhr in der Nacht holt mich das Taxi im Gästehaus ab, kurz nach 5 Uhr soll der Flug nach Istanbul starten. Binnen einer halben Stunde sind wir auch am Internationalen Flughafen angekommen. Die Sicherheitskontrollen vor dem Betreten des Gebäudes sind schnell erledigt, auch das Einchecken dauert keine 10 Minuten.

Vor den Ausreiseschaltern haben sich aber lange Schlangen gebildet, das Ausreiseprozedere wird also etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Ein Umstand, den mein Kreislauf heute nicht ausstehen kann, denn irgendwann während der Warterei in einer der Schlangen bei über 30°C und geschätzten 100% Luftfeuchte wird es mir schummerig vor den Augen.

Irgendwann später sitze ich auf dem Stuhl des Ausreisebeamten und jemand gibt mir Wasser zu trinken, der Filmriss ist behoben. Verursacht ist dies alles durch zu wenig Essen und Trinken in den letzten Stunden, ich hab ja gedacht, direkt hinter der Ausreise dann rein in die Lounge und dann mal richtig Frühstücken. Dies klappt dann auch im Anschluss problemlos.

Von meinen aktuellen gesundheitlichen Problemen am rechten Bein erzähle ich dem Boden- und Flugpersonal besser einmal nichts. Nicht dass man da noch auf die Idee kommt, mich wieder aus dem Flugzeug auszuladen. Das könnte ich jetzt gar nicht gebrauchen. Der Kabineninnendruck im Flieger dürfte ja identisch zum Luftdruck der letzten Tage im 2300m hoch gelegenen Skardu sein. Das muss jetzt einfach funktionieren.

Der Flug nach Istanbul startet mit gut einer Stunde Verspätung. In der Businessklasse ist es ziemlich leer. Vor der Landung in Istanbul müssen wir mehr als eine Stunde kaum 100km von Istanbul entfernt in 8200m Höhe kreisen, da über dem Flughafen Istanbul gerade ein Gewitter tobt. Als Folge hat auch der Anschlussflug nach München Verspätung, ich kann den Flug gerade noch erreichen.

Nur im Stress zwischen den beiden Flügen, statt 2,5h nur 45min Umsteigezeit, komme ich nicht mehr dazu, schon von hier aus einen Termin noch für heute Nachmittag beim Arzt zu Hause abzuklären. Dies werde ich dann in Deutschland nachholen.

Fast wieder pünktlich landet der Flug in München, auch mein Gepäck ist trotz der kurzen Umsteigezeit vollständig dabei.

Die eine Reise für mich ist nun vorbei, die Reise zur Genesung von der Entzündung hat aber erst begonnen.

Wie geht die Erkrankung weiter?

Bereits am Folgetag starten die Arztbesuche beim Fachchirurgen, der mich zusätzlich noch zu einer Venenspezialistin verweist. Ein Kardiologe soll ebenfalls mittels einer Herz-Echo-Untersuchung (Echokardiographie) ausschließen, dass die Herzklappen einen Schlag abbekommen haben bzw. eine Endokarditis (Herzinnenwandentzündung) anliegt. Gerade die Ödeme an der Hand haben hier die Ärzte beunruhigt. Diese Untersuchung ergibt glücklicherweise keine Auffälligkeiten.

Um eine spätere Arthrose ausschließen zu können, werden sicherheitshalber auch Röntgenaufnahmen an den beiden angestoßenen Zehnägel (am rechten Bein die berühmt berüchtigte Großzeh und am linken Bein der Zeh neben der Großzeh) durchgeführt. Hierbei entdeckt der Arzt an dem linken Zeh eine frisch verheilte Längsfraktur dieser Zeh. Mein Zitat zum Arzt auf seine Frage ist: »Weh getan hat es schon etwas und komisch an den großen Zeh angelehnt hatte die Zeh sich auch, aber ich hab die ganze Zeit gedacht, dass ist der Zehnagel! Und der rechte Fuß war mir einfach wichtiger!«.

Eine explizite Behandlung meines rechten Zehes führen sie erst nach einigen Tagen auf mein ausdrückliches Drängen hin durch.

Etwas verstört bin ich zunächst, warum auch “Herzinfarkt”-Blutwerte wie CK-MB, Myoglobin, Troponin, BNP und DDIM überprüft werden. Mir wird erklärt, dass manche dieser Blutparameter auch bei Muskelzerstörungen wegen einer Unterversorgung mit Blut ähnliche Änderungen anzeigen wie bei einem frischen Herzinfarkt. Bis auf einem erwartet massiv erhöhten DDIM-Wert, der Abbauarbeiten von geronnenen Blut anzeigt, sind alle Werte im Normbereich. Gerade der DDIM-Wert ist nochmals ein Unterscheidungsmerkmal der Phlegmone zur Wundrose.

Es stehen noch für viele Wochen fast tagtägliche Arztbesuche an. Es folgen wochenlang Antibiotika (in Summe fast 6 Wochen!) und vom ersten Tag an in Deutschland auch gleich eine Darmaufbaukur, viele Zink-Leim-Verbände, viele Lymphdrainagen und ein rechter Unterschenkel, der doch wieder langsam der “Alte” werden will und vielleicht auch noch werden darf.

Schön wäre es.

 

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